Schlagwort: Leben mit Jobcenter

  • Antrag auf Realität

    Antrag auf Realität

    Meine Bürgergeld-Erfahrungen als Selbstständige haben mir gezeigt, dass Mut manchmal ein Formular braucht. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal darüber schreiben würde – aber hier bin ich, zwischen Fragen, Formularen und dem Versuch, meine Realität neu zu beantragen.

    Ich sitze vor dem Bildschirm und klicke auf „Antrag stellen“.
    Bürgergeld.

    Allein dieses Wort fühlt sich an, als hätte jemand meine Selbstständigkeit in Watte gewickelt. Bürger. Geld. Hilfe. Kontrolle.
    Ich will arbeiten, nicht verwaltet werden. Und trotzdem tue ich es.

    Vierzehn Jahre Selbstständigkeit – kein Sicherheitsnetz, kein Plan B, nur ich, meine Arbeit und das Vertrauen, dass es irgendwie reicht. Meistens tat es das. Dann kam Corona, dann die Beiträge, dann die Lücken. Jetzt also das hier.

    Der Antrag ist ein eigenes Universum aus PDFs, Nachweisen und dem Versuch, meine Existenz in Tabellen zu pressen.
    Wie erklärt man einem Formular, dass man mit Design, Kunst und Sichtbarkeit Menschen berührt?
    Dass ein „gutes Jahr“ bei Selbstständigen nicht automatisch bedeutet, dass man Geld zum Sparen hat?

    Beim ersten Termin beim Jobcenter saß mir eine Frau gegenüber, die freundlich war, aber müde.
    Sie tippte, fragte, bewertete.
    Dann dieser Satz:

    „Sie sind alleinlebend und kinderlos. Sie können alles machen.“

    Ich nickte.
    Innerlich schrie etwas in mir: Nein. Ich kann nicht alles machen. Ich mache das, wofür ich brenne. Und das ist genug.

    Aber das System kennt keine Leidenschaft. Nur Zahlen.
    Also bringe ich meine Wut dorthin, wo sie hingehört: in Worte.

    Dieser Blog ist mein Raum zwischen Akten und Atempausen.
    Ich schreibe, um mich zu erinnern, dass ich mehr bin als meine Formulare.
    Dass Freiheit nicht nur ein Ideal ist, sondern ein innerer Muskel, den man trainieren muss – auch, wenn man gerade Bürgergeld beantragt.